Centrum Hotel 2015

Video, 4:58 Min., Loop

Auszug aus der Eröffnungrede von Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker
Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg, 8. Januar 2016

… Und unvermutet begegnen wir etwa in der Videoarbeit Centrum Hotel von Barbara Karsch-Chaïeb auch einem – uns eigentlich ja unsichtbaren – David Lynch wieder. Im filmisch wiedergegebenen riesenhaften Abrissobjekt hatte der nämlich zuvor mehrfach gewohnt, das zwischenzeitlich zertrümmerte Betonskelett des Komplexes (mit schadhaftem Mauerwerk und wie Wunden aufklaffenden Wandfragmenten) lässt freilich nichts mehr vom Glanz der einstigen Festspielära erahnen. Die Blicke gehen ungehindert in zerstörte Räume hinein, in die aufgelassenen Architekturen, die die Funktionen eines privaten Behausens und Beschützens aufgegeben haben; sie dringen hinter die vormals intakten bis hochglänzenden Fassaden, unter die Haut der Tapeten, die sich Schicht um Schicht schälen, in Fetzen herunterhängen, die strahlenförmigen Glasscherben zerborstener Fensterscheiben einem blockierten Kameraverschluss gleich, der die Belichtungszeit ins Unendliche ausgedehnt hat und damit die Bewohner und jedes bewegliche Gut vollständig von der sichtbaren Oberfläche getilgt hat.
Der Kontrast zwischen der maroden Brüchigkeit technischer Oberflächen und des am unteren Bildrand des Videos Hotel Centrum eingeblendeten poetischen Liebesliedtextes von Blue Velvet („She wore blue velvet / Bluer than velvet were her eyes / Warmer than may her tender sighs / …“) könnte kaum größer sein („Sie trug blauen Samt / Blauer als Samt waren ihre Augen / Wärmer als der Mai ihr zärtliches Seufzen“)! Doch verfiele der Leser dieser Zeilen je in romantische Gefühligkeit, er würde – wie Barbara Karsch-Chaïeb selbst bei ihrem Dreh vor Ort – schlagartig wieder in die aktuelle Wirklichkeit zurückbefördert, als in unserem Rücken unbemerkt eine örtliche Musikkapelle lauthals die Hymne zum Nationalfeiertag anstimmte.
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